Nordbahnhof in Berlin: Der Stettiner Bahnhof verschwand, ein Geisterbahnhof blieb


Das DDR-Regime ließ in Berlin den Stettiner Bahnhof in Nordbahnhof umbezeichnen. Mit dem Bau der Berliner Mauer folgte der Abriss. Zurück blieb ein unterirdischer Geisterbahnhof.

Ab dem früheren 19. Jahrhundert siedelten sich vor den Toren der Stadt Berlin wichtige Firmen der Schwerindustrie an. Industrielle und Kaufleute schlossen sich zusammen, um die Verkehrsverbindungen zu verbessern. Sie setzten sich beispielsweise für eine Bahnverbindung von Berlin nach Stettin als nächstgelegene Hafenstadt ein.

Im Jahr 1842 wurde der erste Stettiner Bahnhof – benannt nach dem Zielort der Bahnlinie – in Betrieb genommen. Zunächst rollten auf der Strecke nur Güterzüge, ab 1872 kamen ebenso Personenzüge hinzu. Schnell wurde der Bahnhof zu klein. Ein Neubau war notwendig, der 1876 fertig war. Mit den Zügen vom Stettiner Bahnhof war der nördliche Landesteil und der gesamte Ostseeraum erschlossen.

Verkehr eingestellt

Im Zweiten Weltkrieg wurde der Stettiner Bahnhof stark beschädigt. Die Fernbahn und auch die S-Bahn waren jedoch bald wieder in Betrieb. 1950 ließ das DDR-Regime die Station aus politischen Gründen in Nordbahnhof umbenennen. Nach dem Verlust der deutschen Ostgebiete gehörte Stettin – heute: Szczecin – zu Polen, einem Verbündeten im Warschauer Pakt.

Mit der Teilung der Stadt verlor der Kopfbahnhof, der direkt an der neuen Grenze lag, seine Funktion. Der Personenverkehr wurde 1952 eingestellt. Mit der Abriegelung der deutsch Grenze 1961 stellte der Bahnhof seinen Betrieb komplett ein. Die Ruine des Kopfbahnhofs wurde 1965 abgerissen. Lediglich das Gebäude des ehemaligen Stettiner Vorortbahnhofs an der Julie-Wolfthorn-Straße/Caroline-Michaelis-Straße blieb erhalten.

Der Stettiner Bahnhof auf einer Aufnahme vermutlich aus dem Jahr 1875
Der Stettiner Bahnhof auf einer Aufnahme vermutlich aus dem Jahr 1875
(Foto: unbekannt/Historische Bahnhofsbauten, Band I/Wikipedia/gemeinfrei)

Das Bahnhofsareal lag direkt an der Grenzlinie. Das gesamte Gelände wurde mit dem Bau der Berliner Mauer planiert. Grenzanlagen hochgezogen. Die alte Bahnhofsmauer aus Ziegelsteinen fungierte als Grenzmauer. Die Durchgänge wurden zugemauert, die Mauerkrone mit Stacheldraht gesichert. Hinter diesem Hindernis wurde später eine neue Grenzmauer errichtet. 1984 kam eine zusätzliche Hinterlandmauer mitsamt Kolonnenweg hinzu.

Mit dem Mauerbau wurde Berlin nicht nur an der Oberfläche in zwei Hälften geteilt. Dies galt auch für den öffentlichen Nahverkehr im Untergrund. Die Streckennetze von S-Bahn und U-Bahn waren plötzlich zweigeteilt. Dabei entstand ein Kuriosum: Unter der Erde durchquerten zwei U-Bahn- und eine S-Bahn-Linie, die von West-Berlin nach West-Berlin fuhren, die alte Stadtmitte in Ost-Berlin. Die Züge rollten bei langsamer Fahrt ohne Halt durch die Ost-Berliner Stationen. Sie waren abgedunkelt und schwer bewacht. Auf die Fahrgäste wirkten die Stationen unheimlich, weswegen sie Geisterbahnhöfe genannt wurden.

Mauern und Stahlgitter

Für die Menschen in Ost-Berlin waren die Stationen nicht zugänglich. Die DDR-Grenzer befürchteten Fluchtversuche über die Tunnel. An der Oberfläche wurden die Zugänge zugemauert. Die Haltestellen verschwanden aus dem Stadtbild. Unter der Erde wurden die Bahnhöfe mit Hindernissen abgeriegelt. Der Nordbahnhof hatte dabei eine Besonderheit: einen Ausgang nach Ost-Berlin und einen Ausgang nach West-Berlin. Um Fluchtversuche zu verhindern, wurden sechs Mauern und ein Stahlgitter eingezogen. Außerdem waren Sensoren installiert, die Unbefugte sofort verrieten.

Nach dem Fall der Mauer wurde der größte Teil der Grenzanlagen unter- und oberirdisch abgebaut. An der Oberfläche lag das frühere Bahnhofs- und Grenzgelände seit dem Abräumen der Mauer 1991 in einem Dornröschenschlaf. Mit der Zeit entwickelte sich eine üppige Vegetation – Wiesen, Gehölze, Trockenrasen. Sie bieten Lebensraum für seltene Vogelarten und Kleinlebewesen. Auf dem ehemaligen Bahnhofsgelände sind immer noch Reste und Spuren der alten Grenzanlagen zu entdecken. Das Areal, das zu einem Park umgebaut wurde, vereint Naturraum, Historie und Erholung. Unter der Erde erinnert eine Ausstellung in der S-Bahn-Station an die Zeit, in der der Nordbahnhof ein Geisterbahnhof war.

Stettiner Bahnhof - Nordbahnhof - Die Haupthalle im Jahr 1902
Die Haupthalle im Jahr 1902
(Foto: Cornelius und Klingholz – Architekturmuseum der TU Berlin, Inventarnummer: BZ-F 19,006/gemeinfrei)

Bewertung

Erlebnis: ★★★☆☆

Atmosphäre: ★★☆☆☆

Geschichte-Faktor: ★★★★☆

Landschaft: ☆☆☆☆☆

Abgeschiedenheit: ☆☆☆☆☆

Abenteuer: ☆☆☆☆☆



Besichtigung

In dergesamten Station sind alte Fotos angebracht. In der Zwischenetage gibt es zudem eine Ausstellung zu den Geisterbahnhöfen.

Strecke: nach eigenem Ermessen

Dauer: nach eigenem Ermessen

Kondition: keine

Schwierigkeit: keine

Gefahren: keine

Beste Jahreszeit: keine


Wegbeschreibung

Anreise: Mit der S-Bahn oder Tram in Berlin zum „Nordbahnhof“.

Start und Ziel: Station

Weg: nach eigenem Ermessen

Hinweise: Am Nordbahnhof liegt der „Park am Nordbahnhof“, das frühere Gleisgelände, auf dem Relikte erhalten geblieben sind.


Weitere Informationen

  • keine

Stand: 18.6.2021