Holocaust in Berlin: Die verschwundenen Menschen des Bayerischen Viertels


Im Bayerischen Viertel in Berlin lebten einst viele Menschen jüdischen Glaubens. Viele überlebten den Holocaust nicht. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren die früheren Mitbewohner lange vergessen. Inzwischen erinnert ein Denkmal an sie.

Die 80 Schilder fallen ins Auge. Befestigt sind sie an Straßenlaternen im „Bayerischen Viertel“ in Berlin. Es sollen „Orte des Erinnerns“ sein, wie das ungewöhnliche Denkmal heißt. Es erstreckt sich über das ganze Stadtviertel. Jedes Schild steht für die schleichende Entrechtung der Berliner Juden im Dritten Reich.

Auf einer der Tafel ist beispielsweise ein Brief abgebildet. Auf der Rückseite steht: „Nun ist es soweit, morgen muss ich fort und das trifft mich natürlich sehr schwer. Ich werde Dir schreiben“. Klein darunter: „Vor der Deportation 16.1.1942“. Dem Betrachter ist klar, dass der Verfasser den Holocaust vermutlich nicht überlebt haben wird.

Zunehmende Drangsalierung

Der Standort des Flächendenkmals ist kein Zufall. Das Bayerische Viertel war Anfang des 20. Jahrhunderts ein besseres und beliebtes Wohnquartier in Schöneberg. Vergleichsweise viele Juden lebten dort. Im Jahr 1933 waren mehr als 16.000 Einwohner jüdischen Glaubens.

Die von den Nationalsozialisten vorangetriebene Drangsalierung begann 1933 schleichend, verschärfte sich im Lauf der Jahre und endete im Massenmord. Die jüdischen Bewohner wurden mit immer neuen Regelungen und Gesetzen eingeschränkt. Verbote prägten den Alltag und das soziale Miteinander. Im Jahr 1941 begann die Deportation der Berliner Juden in aller Öffentlichkeit, im Bayerischen Viertel verschwanden rund 6000 Bewohner. Im Mai 1943 lebte in Berlin kein Jude mehr.

Aus den Augen, aus dem Sinn

In der Nachkriegszeit erinnerte lange Zeit nichts an das Schicksal dieser Bewohner, ausgenommen von einem Mahnmal an der Stelle der früheren Synagoge. Erst in den 1980ern-Jahren begannen Einwohner die Geschichte des Stadtteils zu erforschen. Es gelang, den Verbleib der meisten jüdischen Bewohner Schönebergs zu klären.

Die Lokalpolitik beschloss daraufhin, mit einem Denkmal auf das verschwundene jüdische Leben aufmerksam zu machen. Im Jahr 1993 wurde das Denkmal, konzipiert von Renata Stih und Frieder Schnock, eingeweiht. Seitdem weisen 80 Schilder auf die Entrechtung und das Los der jüdischen Bewohner in der NS-Zeit hin – unauffällig und doch eindringlich.


Bewertung

Erlebnis: ★★★☆☆

Atmosphäre: ★★★☆☆

Geschichte-Faktor: ★★★★☆

Landschaft: ☆☆☆☆☆

Abgeschiedenheit: ☆☆☆☆☆

Abenteuer: ☆☆☆☆☆



Besichtigung und Wegbeschreibung

Die Besichtigung des Denkmals ist eng mit einer Erkundung des Bayerischen Viertels verbunden. Einen Start- oder Endpunkt gibt es nicht, ebenso keinen vorgeschrieben Weg oder einzuplanende Dauer. An dieser Stelle wird die Besichtigung ab dem Rathaus Schöneberg vorgeschlagen – erreichbar in Berlin mit der U-Bahn/Bus bis zur Station „Rathaus Schöneberg“. Eine Orientierung bieten die Übersichtskarten, die (leider sehr rar) im Bayerischen Viertel aufgestellt sind.

Diese Übersicht zeigt die Standorte des Flächendenkmals "Orte der Erinnerung".
Diese Übersicht am Rathaus Schöneberg zeigt die Standorte des Flächendenkmals „Orte der Erinnerung“. (Foto: Fabian Schweyher)

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Stand: 2.7.2021