Während des Zweiten Weltkriegs benötigten die Nazis viel Energie für die Rüstungsindustrie. Abhilfe sollte der Typ Einheitskraftwerk schaffen. Von diesen standardisierten Kraftwerken ist nach dem Krieg nur eines übrig geblieben: das Kraftwerk Vogelsang.
Die Schornsteine des alten Kraftwerks Vogelsang sind aus der Ferne zu sehen. Jeder von ihnen streckt sich 100 Meter in die Luft. Umso näher man kommt, umso mehr fallen die Löcher auf, die die Kämpfe im Zweiten Weltkrieg in den Beton gerissen haben. Ab Februar 1945 lieferte sich die Wehrmacht ein blutiges Ringen mit der Roten Armee um die Industrieanlage.
Der Bau des Kraftwerks, direkt an der Oder bei Fürstenberg gelegen, war ein Resultat des Zweiten Weltkriegs. Als Folge stellte das NS-Regime die Wirtschaft auf die Produktion von Kriegsgütern um. Zahlreiche Fabriken entstanden, ohne die der Weltenkrieg nicht möglich gewesen wäre. Und diese Anlagen benötigten Strom. Viel Strom.
150 Megawatt-Leistung
Die Nazis riefen daher 1942 ein „Wärmekraftwerk-Sofortprogramm“ ins Leben. Sogenannte Einheitskraftwerke sollten errichtet werden, mit einheitlichen Bauplänen. Hinzu kamen Blockbauweise und standardisierte Bauelemente. Die Braunkohlekraftwerke mit jeweils 150 Megawatt-Leistung waren schnell und materialsparend zu bauen.
Der Standort bei Fürstenberg an der Oder und in Nähe zum Braunkohlerevier bot sich für einen Bau an. Das NS-Regime hatte schließlich bereits Ende der 1930er-Jahre Rüstungs-, Glas- und Chemiefabriken in der Umgebung angesiedelt – alles kriegswichtige Industrien.
Arbeiten eingestellt
Der Bau des Kraftwerks Vogelsang, auch Wernerwerk genannt, begann im April 1943. Auftraggeber war das Märkische Elektrizitätswerk. Möglich war die Errichtung nur, da das Regime jüdische Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene des Fürstenberger Lagers Stalag III B für sich schuften ließ. Rund 900 Menschen arbeiteten täglich auf der Baustelle unter unmenschlichen Bedingungen. Im Jahr 1944 wurden die Kessel und Maschinen installiert. Die Rote Armee rückte jedoch immer näher. Am 31. Januar wurden die Arbeiten deshalb eingestellt.
Sechs Tage später überquerten sowjetische Soldaten die vereiste Oder. Sie errichteten einen Brückenkopf und verschanzten sich im Kraftwerk. Auf den Schornsteinen bezogen Beobachter Stellung. Von dort lenkten sie das Artilleriefeuer auf die deutschen Stellungen. Alle Gegenstöße der Wehrmacht, mit denen die Anlage zurückerobert werden sollte, scheiterten unter großen Verlusten.
Zurück blieb der Rohbau
Kleine Kommandounternehmen, die Himmelfahrtkommandos glichen, missglückten ebenso allesamt. Trotzdem zogen sich die Kämpfe hin. Bis April rangen Wehrmacht und Rote Armee um das Kraftwerk. Hunderte Soldaten starben. Das Dorf Vogelsang wurde bei den Kämpfen zerstört.
Nach dem Zweiten Weltkrieg ließ die sowjetische Militäradministration die Anlage ausschlachten. Ausrüstung, Maschinen und selbst Stahlkonstruktionen wurden demontiert und als Reparationsleistung in die Sowjetunion gefahren. Übrig blieb der Rohbau der Anlage. In der Nachkriegszeit sollte die Ruine zunächst gesprengt werden. Man fürchtete jedoch, den nahen Hochwasserdamm zu beschädigen. Man überließ die Industrieruine sich selbst.
Im Lauf der Zeit siedelten sich auf dem Areal seltene und bedrohte Tierarten an. Erneute Pläne für einen Abriss wurde daher aufgegeben. Inzwischen gehört das Gelände einer Immobilienfirma. Zukunft ungewiss. Es gibt Überlegungen, aus der Ruine ein Industriedenkmal zu machen. Schließlich handelt es sich bei der Anlage um das letzte noch erhaltene Einheitskraftwerk aus der Nazi-Zeit.
Bewertung
Erlebnis: ★★☆☆☆
Atmosphäre: ★★★☆☆
Geschichte-Faktor: ★★★☆☆
Landschaft: ★★★★☆
Abgeschiedenheit: ★★☆☆☆
Abenteuer: ☆☆☆☆☆
Besichtigung
Das Gebäude kann nur von außen besichtigt werden. Das Betreten ist verboten.
Strecke: –
Dauer: –
Kondition: –
Schwierigkeit: –
Gefahren: –
Beste Jahreszeit: –
Wegbeschreibung
Anreise: In Eisenhüttenstadt mit dem Auto bis zum Kleingartenverein Am alten Kraftwerk e.V. (Buchwaldstraße, 15890 Eisenhüttenstadt) oder zu Fuß/mit dem Fahrrad auf dem Radweg entlang der Oder.
Start und Ziel: –
Weg: –
Hinweise: In südlicher Richtung befindet sich die Ruine einer gesprengten Oderbrücke sowie das Kloster Neuzelle.
Weitere Informationen
Stand: 29.5.2021