Südwestkirchhof Stahnsdorf: Besucher und Verstorbene kamen mit der „Leichenbahn“


Der riesige Südwestkirchhof Stahnsdorf wurde aus Platzmangel vor den Toren Berlins angelegt. Der Friedhof besaß sogar eine eigene S-Bahn-Linie. Im Volksmund hieß sie „Leichenbahn“.

Der Südwestkirchhof Stahnsdorf ist vergleichsweise wenig bekannt, zählt jedoch angeblich zu den bedeutendsten Friedhöfen. Mit einer Fläche von mehr als 200 Hektar ist er der zehngrößte Friedhof weltweit. Er beherbergt kulturhistorisch herausragende Grabstätten. Zusammen mit seinem waldähnlichen Erscheinungsbild gehört er zu den wichtigsten Denkmälern in der Region Berlin.

Der Friedhof wurde im Jahr 1909 eröffnet. Die Lage außerhalb von Berlin war mit Absicht gewählt. Ende des 19. Jahrhunderts nahm die Stadtbevölkerung rasant zu. Der Raum wurde knapp, auch für Begräbnisstätten. Die evangelische Landeskirche kaufte daher Grundstücke außerhalb Berlins, um dort Friedhöfe zu errichten.

In Blöcke aufgeteilt

Für die evangelischen Kirchengemeinden Berlins entstand ein solcher Großfriedhof in Stahnsdorf. Er war von Beginn an großflächig und naturbelassen konzipiert – als Gegenentwurf zur urbanen Enge. Ungewöhnlich war ebenso, dass die Anlage in Blöcke aufgeteilt wurde, entsprechend den Berliner Stadtteilen. So sind beispielsweise im „Block Schöneberg“ Verstorbenen aus diesem Gebiet bestattet.

Da der Südwestkirchhof – genauso wie der angrenzende Friedenauer Waldfriedhof und der Wilmersdorfer Waldfriedhof – von der Berliner Innenstadt schwer zu erreichen war, wurde der Bau einer S-Bahn-Linie realisiert. Die Kosten übernahm die Stadtsynode. Die Strecke zweigte vom Bahnhof Wannsee zum Südwestkirchhof ab. Sie war eingleisig und mehr als vier Kilometer lang. In der Bevölkerung war die Linie als „Leichenbahn“ bekannt, da sie neben den Passagieren auch die Verstorbenen zum Friedhof transportierte.

Mit der Anbindung gewann der Friedhof schnell an Bedeutung. Ein weiterer Grund dürfte gewesen sein, dass dort auch Menschen nicht-evangelischen Glaubens ihre letzte Ruhe finden durften. In den 1920er- und 1930er-Jahren ließen sich zunehmend prominente Persönlichkeiten aus allen Bereichen des Lebens auf dem Südwestkirchhof bestatten. Mit ihnen entstanden zahlreiche herausragende Grabstätten und Mausoleen.

Außergewöhnlich: Auf dem Gelände gibt es einen Block namens „Schwedischer Friedhof“ für die Verstorbenen jener Gemeinde in Berlin. In diesem Bereich steht auch eine imposante Holzkapelle im skandinavischen Stil. Der Südwestkirchhof beherbergt außerdem zwei Soldatenfriedhöfe aus der Zeit des Ersten Weltkriegs. Der britische Berlin South-Western Cemetery besteht aus 1172 Kriegsgräbern. Auf dem italienischen Militärfriedhof liegen 1650 tote Soldaten. Die Militärangehörigen beider Nationen waren in deutscher Kriegsgefangenschaft gestorben.

Umbettungen wegen Germania-Bauvorhaben

Im Dritten Reich gewann der Südwestkirchhof unerwartet an Größe. Die Nationalsozialisten planten bereits für die Zeit nach ihrem „Endsieg“. Berlin wollten zu einer gigantischen Welthauptstadt umbauen. Diesen Plänen standen mehrere Friedhöfe in Schöneberg im Weg. Sie wurden daher teilweise geräumt oder geschlossen. Rund 15.000 Gräber wurden auf den Südwestkirchhof Stahnsdorf umgebettet. Sie sind in den Blöcken „Alte Umbettung“ bzw. „Neue Umbettung“ zu finden.

Mit der deutsch-deutschen Teilung im Jahr 1949 befand sich der Südwestkirchhof auf DDR-Gebiet. Für West-Berliner war ein Besuch nur noch mit Passierschein möglich. Mit dem Bau der Berliner Mauer 1961 war der Friedhof für sie schließlich unerreichbar geworden. Die S-Bahn stellte den Betrieb ein, das Bahnhofsgebäude wurde später gesprengt. Staatsangehörige der DDR hatten weiterhin Zugang zum Friedhof. Allerdings gehörten die meisten Gräber zu Kirchengemeinden in West-Berlin. Viele Grabstätten blieben sich selbst überlassen.

Mit der Wiedervereinigung übernahm die evangelische Kirche wieder die Verwaltung des Friedhofs. Seine frühere herausragende Bedeutung konnte er jedoch nicht erneut gewinnen. Inzwischen ist die Zahl der jährlichen Bestattungen zwar wieder auf rund 1000 angestiegen. Wichtiger als die Funktion als Friedhof ist heutzutage ohnehin seine historisch-kulturelle Bedeutung als Denkmal.

Verstorbene Persönlichkeiten auf dem Südwestkirchhof (Auszug):

  • Walter Gropius, Architekt
  • Dieter Thomas Heck, Moderator
  • Manfred Krug, Schauspieler
  • Otto Graf Lambsdorff, Politiker
  • Gustav Langenscheidt, Verlagsgründer
  • Ernst Gennat, Kriminalist
  • Werner von Siemens, Industrieller

Bewertung

Erlebnis: ★★★★☆

Atmosphäre: ★★★★★

Geschichte-Faktor: ★★★★☆

Landschaft: ★★★★☆

Abgeschiedenheit: ★★★☆☆

Abenteuer: ☆☆☆☆☆



Besichtigung

Strecke: nach eigenem Ermessen

Dauer: nach eigenem Ermessen

Kondition: keine

Schwierigkeit: keine

Gefahren: keine

Beste Jahreszeit: keine


Wegbeschreibung

Anreise: Hinter der Berliner Stadtgrenze nach Stahnsdorf zur Adresse Bahnhofstraße 2, 14532 Stahnsdorf. Parken vor dem Friedhofseingang.

Start und Ziel: nach eigenem Ermessen

Weg: nach eigenem Ermessen

Hinweise: In der Nähe befindet sich der ebenfalls sehr interessante „Wilmersdorfer Waldfriedhof Güterfelde“ (Potsdamer Damm 11, 14532 Stahnsdorf).


Weitere Informationen

Stand: 1.6.2021