Aufstand im Warschauer Ghetto: Die überraschte SS rächte sich barbarisch

Die Nazis errichteten mitten in Warschau ein Ghetto, in dem sie die jüdische Bevölkerung einsperrten. Es war das größte seiner Art während des Dritten Reichs. Gleichzeitig war es mit dem „Aufstand im Warschauer Ghetto“ 1943 Ausgangspunkt für die größte jüdische Widerstandsaktion im Holocaust.


Geschichte des Warschauer Ghettos

Vor dem Zweiten Weltkrieg war Warschau das Zentrum des jüdischen Lebens in Polen. Rund 370.000 Stadtbewohner (30 Prozent der Bevölkerung) in der Hauptstadt waren jüdischen Glaubens. Die deutschen Besatzer befahlen 1940, dass sich alle Juden im „Jüdischen Wohnbezirk“ einfinden müssen. Das Areal, das von einer Mauer umfasst war, wurde von der SS bewacht.

Auf der Karte von Warschau ist das frühere Ghetto eingezeichnet. (Bild: [User:Jkan997], via Wikipedia, CC BY-SA 3.0)

Im Ghetto herrschten menschenunwürdige Zustände. Obwohl es bereits überfüllt war, verschleppten die Nazis immer mehr Menschen dorthin. Zeitweise waren bis zu 500.000 Gefangene auf dem Areal eingepfercht. Viele Insassen mussten Zwangsarbeit verrichten. Gleichzeitig erhielt jeder Ghettobewohner täglich nur 184 Kilokalorien. Neben tödlichen Übergriffen der SS drohten Hungertod und Krankheiten.

Im Sommer 1942 räumte die SS das Ghetto. Die Bewohner wurden in Vernichtungslager deportiert und dort umgebracht. Die Nazis verkleinerten daraufhin fortwährend das Ghetto. Dies war mit brutalen „Selektionen“ verbunden, bei denen entschieden wurden, wer deportiert oder sofort ermordet wird.

Unter den verbliebenen Ghettoinsassen – Anfang 1943 lebten dort offiziell noch 40.000 Menschen – machte sich Angst breit. Viele entschlossen sich zum bewaffneten Widerstand. Im Untergrund bildete sich die „Jüdische Kampforganisation“ (Żydowska Organizacja Bojowa, ŻOB), die Waffen in das Ghetto schmuggelte.

Am 19. April 1943 erhoben sich die Bewohner gegen die überraschte SS. Nach mehrwöchigen Kämpfen schlug die SS den Aufstand bis Anfang Mai nieder. Den letzten Widerstand konnte sie allerdings erst brechen, indem sie das Ghetto-Areal vollständig niederbrannte. Verbliebene Bewohner wurden erschossen oder deportiert. Anschließend zerstörten die Nazis selbst die Ruinen des ehemaligen Ghettos.

Gleichzeitig startete die SS groß angelegte Razzien gegen die polnische Intelligenz. Viele Hunderte Menschen wurden ermordet. Dasselbe Schicksal ereilte aufgeflogene Juden, die sich im Untergrund versteckt hatten. Hinrichtungsstätte war oftmals das Pawiak-Gefängnis in der Innenstadt.

Das Warschauer Ghetto steht heutzutage als Symbol für die Grausamkeit der Nazis und für die größte jüdische Widerstandsaktion im Dritten Reich angesichts des Holocausts.


Besichtigung des früheren Warschauer Ghettos

Da die Wehrmacht nach den niedergeschlagenen Aufständen im Ghetto und später in Warschau die Stadt systematisch zerstörte, sind nur wenige Zeugnisse der damaligen Zeit angesichts der vollkommen neuen Bebauung erhalten. Oftmals beschränken sich die Spuren auf Denkmäler oder unauffällige Steinmauern, die einst das Ghetto absperrten. Hinzukommt, dass diese Orte über ein relativ großes Stadtareal verstreut liegen. Ein Routenvorschlag für eine Erkundung:

1. Station auf der Route: Original-Gebäude in der Ulica Próżna

Start ist an der Metro-Station Swietokrzyska (Linien M1 und M2; roter Punkt auf der Karte). Zu Fuß weiter zur Próżna-Straße (Ulica Próżna; roter Punkt). Dort stehen einige der wenigen Original-Gebäude aus der Zeit des jüdischen Viertels. Alle Gebäude dürften inzwischen saniert worden sein.

Besichtigung: Tour durch das ehemalige Warschauer Ghetto.
Screenshot: OpenStreetMap

Die Próżna-Straße (Ulica Próżna) umfasst den einzigen historischen Straßenkomplex des Warschauer Ghettos, der erhalten ist. Zu sehen sind vier alte Wohnhäuser, die einmal zum jüdischen Stadtviertel in Warschau gehörten. Angesichts der systematischen Zerstörung der polnischen Hauptstadt durch die Nazis vermitteln die Häuser einen kleinen Einblick, wie Warschau einst ausgesehen hat.


2. Station auf der Route: Plac Grzybowski und Nożyk-Synagoge

Auf dem Grzybowski-Platz (Plac Grzybowski; roter Punkt auf der Karte), direkt an der Próżna-Straße (Ulica Próżna), stehen zahlreichen Informationsstelen, die eine eindrückliche Vorstellung vom früheren Ghetto und dem zeitlichen Ablauf geben. Neben dem Grzybowski-Platz (Plac Grzybowski) befindet sich wiederum die einzige erhaltene Synogoge aus der damaligen Zeit: die Nożyk-Synagoge (Synagoga Nożyków) an der Adresse Twarda 6 (roter Punkt).

Besichtigung: Tour durch das ehemalige Warschauer Ghetto.
Screenshot: OpenStreetMap

Am Grzybowski-Platz hat das „Museum der Geschichte der polnischen Juden“ zahlreiche Stelen aufgestellt, die über das ehemalige jüdische Leben in Warschau informieren. Dargestellt wird auch die Historie des Warschauer Ghettos und die Vernichtung der Juden. Die frei stehende Anlage bietet eine gelungene Möglichkeit, sich kompakt über die komplexe Geschichte der jüdischen Bevölkerung in Warschau zu informieren.

Neben dem Grzybowski-Platz befindet sich die Nożyk-Synagoge, die 1902 errichtet wurde. Während der deutschen Besatzung diente sie als Lager. Bei den Kämpfen im Verlauf des Warschauer Aufstands wurde sie schwer beschädigt, stürzte jedoch nicht ein. Nach dem Krieg fand der erste Gottesdienst im Juli 1945 statt. Das Gebäude wurde restauriert.


3. Station auf der Route: Warschauer Ghetto-Mahnmal, Museum und Pawiak-Gefängnis

Anschließend geht es zwei Kilometer zu Fuß bzw. mit dem ÖPNV weiter. Ziel: Das bekannte Mahnmal für den Aufstand im Warschauer Ghetto (roter Punkt auf der Karte). Dort machte Bundeskanzler Willy Brandt im Jahr 1970 den „Kniefall von Warschau“. Es befindet sich auf dem Platz des Warschauer Ghetto-Aufstands (Plac Bohaterów Getta Warszawskiego), Straßenecke Mordechaja Anielewicza und Ludwika Zamenhofa. Dort liegt auch – neben anderen Denkmälern das Museum der Geschichte der polnischen Juden (Polin Muzeum Historii Żydów Polskich; roter Punkt). Bei Interesse kann das nahe Pawiak-Gefängnis an der ulica Dzielna 24/26 (roter Punkt) besucht werden.

Besichtigung: Tour durch das ehemalige Warschauer Ghetto.
Screenshot: OpenStreetMap

Einst wurde das Warschauer Ghetto-Ehrenmal in Erinnerung an den Aufstand im Warschauer Ghetto aufgestellt. Weltweit bekannt wurde es jedoch erst 1970 mit dem Kniefall des deutschen Bundeskanzlers Willy Brandt. Dies führte dazu, dass inzwischen neben dem Ehrenmal ein kleines Denkmal für Brandts Geste steht. 

Das Ghetto-Ehrenmal besteht aus einer elf Meter hohen Stele, auf der Figuren zu sehen sind, darunter der Widerstandskämpfer Mordechaj Anielewicz (siehe „4. Station auf der Route: Anielewicz-Bunker“). Das 1948 eingeweihte Ehrenmal wurde vom Bildhauer Nathan Rapaport entworfen, der dafür Labradoritblöcke verwendete. Diese waren ursprünglich von Reichsminister Albert Speer ausgesucht worden, der damit in Warschau ein Siegesdenkmal errichten wollte. 

Das Warschauer Ghetto-Ehrenmal erinnert an den Ghetto-Aufstand. Bekannt wurde es mit dem Kniefall von Bundeskanzler Willy Brandt im Jahr 1970.
Das Warschauer Ghetto-Ehrenmal erinnert an den Ghetto-Aufstand. (Foto: Fabian Schweyher)

In die weltweiten Schlagzeilen geriet die Stele am 7. Dezember 1979. Bundeskanzler Willy Brandt besuchte die polnische Hauptstadt, um den Warschauer Vertrag zu unterzeichnen. Bei der Kranzniederlegung am „Denkmal der Helden des Ghettos“ sank er unerwartet auf die Knie und verharrte dort schweigend. Die Geste wurde als eine Bitte um Vergebung der deutschen Verbrechen interpretiert. 

Neben dem Warschauer Ghetto-Ehrenmal eröffnete 2014 das Museum der Geschichte der polnischen Juden (Muzeum Historii Żydów Polskich, POLIN). 

In der Nachbarschaft befindet sich außerdem das Gefängnis „Pawiak“, indem politische Häftlinge inhaftiert waren. Unter der Nazi-Herrschaft entwickelte es sich jedoch zu einer gefürchteten Strafanstalt und Konzentrationslager. Zu den Insassen gehörten Widerstandskämpfer, bei Razzien aufgegriffene Personen und Juden aus dem Ghetto. Rund 37.000 Menschen wurden im Pawiak ermordet. 60.000 Menschen in andere KZs deportiert. Nach dem Warschauer Aufstand sprengten die Nazis das Gebäude in die Luft.  


4. Station auf der Route: Anielewicz-Bunker

200 Meter in nördlicher Richtung an der Adresse Miła 2 (roter Punkt auf der Karte) ist der Anielewicz-Hügel zu sehen. Es handelt sich um ein Denkmal für den Anielewicz-Bunker (Bunkier Anielewicza). Darin verbargen sich die Aufständischen, wurden jedoch aufgespürt und ermordert.

Besichtigung: Tour durch das ehemalige Warschauer Ghetto.
Screenshot: OpenStreetMap

Namensgeber des Anielewicz-Bunkers war Mordechaj Anielewicz. Der jüdische Pole leistete im Warschauer Ghetto zunächst verdeckten Widerstand gegen die Nazis. Er ließ illegale Zeitungen drucken und baute jüdische Jugendgruppen auf, aus denen die bewaffnete Kampfeinheit „Żydowska Organizacja Bojowa“ (ŻOB) hervorging.

Nach der Massendeportation im Ghetto im Jahr 1942 entwickelte sich zunehmend ein bewaffneter Widerstand. Anielewicz, inzwischen Kommandant der ŻOB, ließ Waffen in das Warschauer Ghetto schmuggeln. Zu Beginn der zweiten Massendeportation 1943 attackierte die ŻOB die überraschten Deutschen. Diese zogen sich zunächst zurück, um mit schweren Waffen zurückzukommen. Drei Tag tobte der Häuserkampf.

Als sich die Niederlage des Widerstands ankündigte, zog sich Anielewicz in einen von 16 Bunker der Aufständischen zurück. Während die SS systematisch das Ghetto zerstörte, kam Anielewicz im Bunker unter unklaren Umständen ums Leben. 1946 wurde der Hügel über dem Standort des Bunkers aufgeschüttet und das Mahnmal eingerichtet.

Mordechaj Anielewicz

Mordechaj Anielewicz (*1919) starb während des Aufstands im Warschauer Ghetto am 8. Mai 1943.


5. Station auf der Route: Umschlagplatz

Weitere 500 Meter in nordwestlicher Richtung gelangt man zum Umschlagplatz am Warschauer Ghetto. Der frühere Güterbahnhof, an dem die Juden aus dem Ghetto in Züge gesperrt und zu KZs gefahren wurden, existiert nicht mehr. Dafür steht an dieser Stelle das Umschlagplatz-Denkmal (Pomnik Umschlagplatz, Adresse: Stawki 10; roter Punkt auf der Karte). Dort endet die Tour.

Besichtigung: Tour durch das ehemalige Warschauer Ghetto.
Screenshot: OpenStreetMap

Bei dem sogenannten Umschlagplatz handelte es sich um einen ehemaligen Güterbahnhof, dessen westlicher Teil direkt an das Warschauer Ghetto grenzte. Er wurde vom restlichen Bahnhofsbereich baulich abgetrennt.

Dort fanden Selektionen von Neuankömmlingen statt. Ebenso wurden in zwei Wellen 1942 und 1943 Gefangene, die deportiert werden sollten, am Umschlagplatz in Güterwagen gejagt und in Konzentrationslager transportiert. Die meisten kamen in das Vernichtungslager Treblinka, wo sie in Gaskammern ermordet wurden.

Insgesamt wird die Zahl der Gefangenen des Ghettos, die deportiert und in Folge umgebracht wurden, auf 265.000 geschätzt. Im Jahr 1988 wurde das heutige Mahnmal errichtet.


Bewertung

Eindrücklichkeit: ★★★☆☆

Atmosphäre: ★★☆☆☆

Geschichte-Faktor: ★★★★★

Landschaft: ☆☆☆☆☆

Abgeschiedenheit: ☆☆☆☆☆

Abenteuer: ☆☆☆☆☆



Stand: 3.10.2021